Wer Inklusion will, sucht Wege, wer sie verhindern will sucht Begründungen.
Hubert Hüppe (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen)
Regionale Beispiele
An dieser Stelle finden Sie regionale Beispiele für gelingende Inklusion. Eltern, Lehrer, Erzieher, Integrationshelfer, Ausbilder und andere können hier von ihren Erfahrungen mit inklusiver Bildung und Erziehung in Kindergärten und Schulen oder auch im beruflichen und außerschulischen Bereich berichten. Wenn Sie über Ihre eigenen Erfahrungen im Hinblick auf Inklusion berichten möchten, würden wir uns sehr freuen. Wenden Sie sich einfach mit einer E-Mail an uns: [email protected]

Langjährige Erfahrungen mit erfolgreichem Gemeinsamen Unterricht an einer staatlichen Grundschule
"Es ist normal, verschieden zu sein"
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Gelingende Inklusion!” stellte am 16. Juni 2011 die staatliche Bodelschwingh- Grundschule aus Kreuztal-Buschhütten ihre Arbeit im Olper Rathaus vor. Die erfahrenen Kolleginnen Susanne Merkelbach (Sonderpädagogin), Simone Knorre und Anne Höfer (Grundschullehrerinnen) erzählten vom gemeinsamen Leben und Lernen von Kindern mit und ohne Behinderungen an ihrer Schule und beantworteten zahlreiche Fragen des interessierten Publikums. Das Publikum (knapp 100 ZuhörerInnen) war bunt gemischt: Eltern, ErzieherInnen und Kindergartenleitungen, LehrerInnen und Schulleitungen, TherapeutInnen, PolitikerInnen und viele mehr. An der Bodelschwingh-Grundschule wird unter herkömmlichen Bedingungen schon seit 16 Jahren erfolgreicher und weithin anerkannter Gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen gemacht.
"Es ist normal verschieden zu sein" - dieser Gedanke durchdringt das Schulleben in Buschhütten, laut Aussage der Lehrerinnen.
In einem authentischen, praxisnahen Vortrag brachten diese den Alltag des gemeinsamen Lebens und Lernens an ihrer Schule näher. Sie erzählten vom Konzept der Schule, der Organisation von Lerngruppen und Unterricht, der Schülerschaft, den Mitarbeitern und Voraussetzungen für inklusive Schulentwicklung.
In einer anschließenden Diskussion beantworteten sie außerdem zahlreiche Fragen der interessierten Zuhörer.
Lesen Sie hier eine Zusammenfassung des Vortrags: Auf dem Weg zur Inklusion: Die Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule in Kreuztal-Buschhütten
Dies hat die lokale Presse (WP/WR) über die Veranstaltung berichtet: Eine Bereicherung für unser Schulsystem
Für einen weiteren Einblick finden Sie hier einen sehr interessanten Beitrag der Referentinnen zum Gemeinsamen Unterricht an ihrer Schule. (dritter Eintrag auf der Seite):
Der Blick durch die Lupe: Gemeinsamer Unterricht ist nichts anderes als guter Grundschulunterricht.

Inklusion im Kindergarten und in der Schule - Die richtige Entscheidung für unseren schwerhörigen Sohn
Erfahrungsbericht der Mutter eines schwerhörigen Kindes
Unser Sohn wurde normal hörend geboren und erlangte die hochgradige Hochtonschwerhörigkeit durch eine notwendige und lebensrettende Medikamenteneinnahme im Alter von 2 Jahren und einem Monat. Zu diesem Zeitpunkt wurden wir völlig unvorbereitet mit einem nun „behinderten“ Kind aus dem Krankenhaus in die sog. „normale“ Welt entlassen.
Die Umwelt reagierte sehr unterschiedlich auf unsere neue familiäre Situation. Als unser Sohn 3 Jahren wurde, mussten wir uns mit der Frage nach einem geeigneten Kindergartenplatz auseinander setzen. Es ergab sich zufällig ein Gespräch mit einer Kindergartenleiterin, die für uns überraschend aufgeschlossen und positiv auf die Schwerhörigkeit des Kindes reagierte. Schnell war klar, dass dieser „normale“ Kindergarten die beste Wahl für unser Kind war, zumal er fußläufig auch in nur 3 Minuten erreichbar ist.
Nachdem die Anträge auf eine heilpädagogische Zusatzkraft bewilligt waren, wurde mit der Inklusion unseres Sohnes in die Kindergartengruppe begonnen. Dies geschah sehr behutsam und nach Ablauf eines Jahres konnte er wie jedes andere normal hörende Kind trotz einer auffälligen Hörgeräteversorgung am Kindergartenalltag teilnehmen. Er fand Freunde und wurde aufgeschlossener im Umgang mit gleichaltrigen Kindern. Er profitierte sehr von den normal hörenden Kindern und lernte viel.
Unser Sohn hatte sich metallischblau leuchtende „Höries“, wie er sie nannte, ausgesucht und diese kamen bei den Kindern so gut an, dass der ein oder andere Junge auch solche tragen wollte.
Als unser Kind dann 6 Jahre war und die Schulreife überprüft wurde, kamen allerdings erneut Bedenken auf, ob er in einer Regelgrundschule gut aufgehoben wäre. Nach langem Überlegungen und Beratungsgesprächen mit den Erziehern des Kindergartens, Sonderschullehrern, Heilpädagogen und dem Gesundheitsamt, entschlossen wir uns für die Einschulung in die E-Klasse in der Förderschule für Hören und Kommunikation.
Er hatte dort einen sanften Start in das Schulleben und schnell zeigte sich, dass unser Sohn vom Lernstoff weder unter- noch überfordert war, aber die Kommunikation mit den Klassenkameraden sehr schlecht war. Im Gegensatz zu unserem Kind, mit Ausnahme eines anderen Jungens, konnten alle anderen Kinder in seiner Klasse nicht verständlich oder fast gar nicht sprechen. Dieses führte dazu, dass unser Sohn, der sich sprachlich sehr gewandt und deutlich ausdrücken konnte und kann, plötzlich anfing zu stammeln und sich uns in „Babysprache“ mitteilte. Seine Begründung dafür lautete: „Die anderen Kinder sprechen doch auch so. Ich will nicht auffallen und anders sein als die.“
Da war für uns klar, dass diese Schulform, also eine ausschließliche Beschulung mit schwerhörigen Kindern, nicht weiter für uns und unser Kind in Frage kam.
Nach Ablauf des Schuljahres stellten mein Mann und ich einen Antrag auf Aufnahme in eine Regelgrundschule. Die für uns zuständige Grundschule, damals war die Schulwahl noch an Bezirke gebunden, wollte allerdings unseren Sohn nicht sehr gerne aufnehmen. Es wurden starke Bedenken geäußert und angeführt, dass sie keine Erfahrung mit Schwerhörigen hätten und noch nie ein solches Kind in der Schule gehabt hätten. Er wurde nur „probeweise“ für ein halbes Jahr aufgenommen.
Ein Antrag auf GU (Gemeinsamen Unterricht) wurde genehmigt, sodass ein Sonderschullehrer der Förderschule für Hören und Kommunikation für 2 Wochenstunden unseren Sohn einzeln in einem anderen Klassenzimmer der Grundschule betreute. Manchmal nahm dieser Lehrer auch noch ein paar andere Kinder aus der Klasse mit, die schulischen Förderbedarf hatten und erklärte ihnen auch noch einige Aufgaben.
Die größten Probleme gab es allerdings mit der Klassenlehrerin. Sie wollte sich weigern, den Sender der FM-Anlage (ein kleines schwarzes Kästchen mit einem Mikrofon und einem Kabel) zu tragen. Dieser Sender funkt die gesprochenen Worte des Trägers direkt auf die Empfänger der Hörgeräte. Somit ist die Hör- und Verstehleistung des Schwerhörigen auf ein Optimum verbessert. Ihre Begründung lautete: „Wer weiß, ob ich nicht durch die Funkwellen krank werde. Außerdem habe ich viele Allergien, der Kunststoff des Mikros könnte meine Haut verändern und zudem bin ich ja dann auch noch gezwungen, ständig Kleidung zu tragen, an der ich ein solches Mikrofon befestigen kann. Meine Blusen könnten durch die Klammer beschädigt werden.“
Mit viel Zureden und auch Erklärungen seitens des Sonderschullehrers war sie nach langem Zögern endlich bereit, hin und wieder, hauptsächlich bei Diktaten die Anlage zu benutzen. Trotzdem behielt unser Sohn bei der Lehrerin eine Außenseiterrolle, die dieses ihm auch offen zeigte.
Die Klassenkameraden akzeptierten seine „Behinderung“ hingegen sofort und störten sich überhaupt nicht daran. Die Ablehnung unseres Sohnes seitens der Lehrerin übertrug sich sogar auf mich als Mutter und es kam zu einem sehr unschönen Zwischenfall, wobei mich eben diese Person vor ihrem gesamten Lehrerkollegium schlecht machte. Per Zufall stand ich gerade im Schulflur und bekam die hässlichen Verleumdungen life mit. Eine Entschuldigung ist bis heute nicht erfolgt.
Alles in allem haben wir aber die richtige Entscheidung für unseren Sohn getroffen. Er hat die Grundschule gut geschafft und mit der Realschulempfehlung nach 4 Jahren verlassen. Heute geht er in einer Gesamtschule im Nachbarkreis. Er fühlt sich dort wohl und was für uns das wichtigste ist: alle Lehrer dort benutzen wie selbstverständlich die FM-Anlage.
Fazit
Wir sind von Inklusion überzeugt, wünschen uns allerdings, dass die Lehrer, insbes. die älteren, offener und aufgeschlossener den betroffenen Kindern gegenübertreten. Meiner Meinung nach stören und behindern diese Kinder den Unterricht nicht, sondern fördern die soziale Kompetenz aller Mitschüler und auch der Lehrer.
Gemeinsamer Unterricht - eine Herausforderung, die sich lohnt!
Meine ersten, herausfordernden Schritte im Gemeinsamen Unterricht
Als ich erfuhr, dass ich Klassenlehrerin eines ersten Schuljahres mit fünf Kindern mit unterschiedlichen Förderbedarfen werden sollte, hatte ich großen Respekt vor dieser Aufgabe. Obwohl ich auch während meiner Ausbildung in GU-Klassen gearbeitet hatte, schwirrten mir eine Menge Fragen und Ängste durch den Kopf: Wie fördere ich ein Kind mit dem Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“ überhaupt? Kann ich jedes dieser Kinder mit seinen ganz speziellen Bedürfnissen voranbringen? Und was ist mit den anderen Kindern in der Klasse - kann ich auch ihnen gerecht werden? Die ersten Wochen in meiner GU-Klasse waren wirklich herausfordernd. Nicht das unterschiedliche Leistungsniveau der Kinder war schwierig, sondern eher die Tatsache, dass viele Kinder in der Klasse extreme Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Hierzu gehörten aber nicht nur die GU-Kinder, sondern auch Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf. In einer Grundschulklasse ist die Heterogenität der Kinder generell unbeschreiblich groß und mir wurde klar, dass diese GU-Klasse ähnliche Dinge brauchte wie anderen Klassen auch. Es waren feste Regeln und Strukturen notwendig, die den Kindern eine angenehme Lernatmosphäre ermöglichen sollten. Wir erarbeiteten gemeinsame Regeln, führten Belohnungssyteme ein und schafften Strukturen, die die Kinder bei der Orientierung im Alltag unterstützen sollten (Tagesplan, Klangstab etc.).
Gespräche - Verständnis - Hilfsbereitschaft
Das Wichtigste in unserer Klasse aber ist auch heute noch das Gespräch. Das Verhalten der Kinder wird manchmal im Einzelgespräch, manchmal mit der gesamten Klasse reflektiert. Dabei werden positive Beispiele immer besonders hervorgehoben. Die Heterogenität der Kinder ist häufig Thema in unserer Klasse. Die Kinder wissen zum Beispiel, dass ein Kind Schwierigkeiten damit hat, sich langfristig zu konzentrieren und deshalb manchmal den Unterricht stört. Sie wissen aber ebenfalls, dass das gleiche Kind sehr hilfsbereit ist und nehmen seine Hilfe gerne an. In einer GU-Klasse ist besonders klar: Wir haben alle Stärken und Schwächen!
Offener Unterricht und individuelle Förderung als Voraussetzung für gelingenden GU
Dies ist natürlich auch auf fachlicher Ebene ein Thema. In einer GU-Klasse muss es normal sein, dass an unterschiedlichen Aufgaben gearbeitet wird. Offene Unterrichtsformen sind da unerlässlich. Besonders wenn Kinder lernzieldifferent, d.h. nicht nach den Grundschullehrplänen, unterrichtet werden, sind die fachlichen Unterschiede enorm groß. Aber auch in diesem Fall ist es wichtig, allen Kindern zu verdeutlichen, dass jeder sein eigenes Tempo hat und dass jedes Kind die Aufgaben erhält, die es momentan schaffen kann.
Notwendige Rahmenbedigungen für gelingenden GU
Gemeinsamer Unterricht kann jedoch nur dann funktionieren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Hierzu gehört meiner Meinung nach vor allem die personelle Besetzung. Es ist wichtig, dass genügend Stunden für die sonderpädagogische Förderung zur Verfügung stehen, sodass eine Arbeit im Team überhaupt möglich ist. Grundvoraussetzung für gelingenden Gemeinsamen Unterricht ist, dass Sonderpädagogen und Grundschullehrkräfte eng zusammen arbeiten und dass jeder sich für jedes Kind der Klasse zuständig fühlt. Natürlich gibt es auch Tage, an denen sich der Sonderpädagoge verstärkt um einzelne GU-Kinder kümmert, aber generell ist er, genau wie ich, Ansprechpartner für alle Kinder.
Neben der personellen Besetzung ist auch die räumliche Ausstattung für Gemeinsamen Unterricht wichtig. Dies ist häufig noch ein Knackpunkt, da uns zum Beispiel nicht, wie an vielen Förderschulen üblich, ein zusätzlicher Raum mit Anbindung an die Klasse zur Verfügung steht.
Eine dritte sehr wichtige Voraussetzung für gelingenden Gemeinsamen Unterricht ist die Unterstützung durch das Elternhaus. Den Eltern muss klar sein, dass therapeutische Maßnahmen wie Ergotherapie oder Motopädie in vielen Grundschulen nicht stattfinden können und somit häufig am Nachmittag organisiert werden müssen. Außerdem ist der rege Austausch mit den Lehrkräften unerlässlich, um die Entwicklung des eigenen Kindes voranzubringen. Dies ist nebenbei gesagt allerdings nicht nur bei GU-Kindern von enormer Bedeutung.
In Einzelfällen können widrige Rahmenbedingungen sicherlich dazu führen, dass die Grundschule zum momentanen Zeitpunkt nicht der richtige Förderort für ein Kind ist.
In den meisten Fällen kann ich aber nach nun anderthalb Jahren in meiner Klasse sagen, dass Gemeinsamer Unterricht viele Vorteile für alle Beteiligten bringt. Die GU-Kinder in meiner Klasse sind voll integriert und wenn ein Außenstehender in die Klasse kommt, wird es ihm bei dem ein oder anderen Kind bestimmt schwer fallen, es als GU-Kind zu identifizieren.
Gemeinsamer Unterricht ein Gewinn für alle Kinder
Besonders positiv hat sich der GU meiner Meinung nach auf das Sozialverhalten aller Kinder ausgewirkt. Bei der Reflektion am Ende des Tages bin mittlerweile nicht mehr ich es, die die positiven Dinge des Tages hervorhebt, sondern die Kinder selbst. Und so wird applaudiert, weil Jan (Namen sind geändert) sich heute getraut hat laut vorzulesen, obwohl er große Schwierigkeiten mit dem Lesen hat, oder weil Sascha es heute geschafft hat, direkt mit seinen Aufgaben zu beginnen, obwohl ihm das an vielen Tagen sehr schwer fällt. Dies ist natürlich auch in einer Klasse ohne GU-Kinder möglich, aber ich denke, dass gerade die noch größere Heterogenität dazu führt, dass die Kinder sich mit den Unterschieden bewusster auseinandersetzen. Ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung wird durch die gegenseitige Rücksichtnahme und Anerkennung gefördert.
Für die GU-Kinder im Speziellen ist vor allem das Lernen am Modell eine große Chance, sowohl auf fachlicher als auch auf sozialer Ebene. Ihr Arbeits- und Sozialverhalten wir unter anderem dadurch gestärkt, dass sie viele positive Vorbilder haben, an denen sie sich orientieren können.
Fachlich gesehen kann der GU besonders für lernzieldifferent unterrichtete Kinder große Vorteile mit sich bringen. Die Kinder befinden sich in einer anregenden und herausfordernden Umgebung. In meiner Klasse zum Beispiel ist ein Kind mit dem Förderschwerpunkt Lernen, das in seiner Entwicklung etwa um ein Jahr verzögert ist und deshalb in seinem zweiten Schulbesuchsjahr hauptsächlich an Inhalten des ersten Schuljahres arbeitet. Seit einigen Wochen überrascht uns dieses Kind damit, dass es im Mathematikunterricht plötzlich Aufgaben des Sitznachbarn, die dem Niveau des zweiten Schuljahres entsprechen, erfolgreich löst und große Freude daran hat, sich mit diesen Aufgaben auseinanderzusetzen, obwohl ihm sonst häufig die Begeisterung für schulische Inhalte fehlt.
Es muss noch viel getan werden ... aber es lohnt sich
Fest steht: Es muss noch viel getan werden, damit die Bedingungen für den Gemeinsamen Unterricht so sind, dass wirklich alle Kinder mit ihren ganz individuellen Bedürfnissen die Regelschule besuchen können.
Gemeinsamer Unterricht ist für alle Beteiligten eine Herausforderung, da in vielen Dingen neue Wege beschritten werden müssen. Meine Erfahrungen zeigen mir aber ganz deutlich: Es ist eine Herausforderung, die sich lohnt.
Der Blick durch die Lupe:
Gemeinsamer Unterricht ist nichts anderes als guter Grundschulunterricht
„Und wie ist das nun für dich, so eine Sportwoche, wenn du doch nicht so laufen kannst wie die anderen?“, fragt ein Radioreporter Christina, die für das Laufen einen Rollator braucht. Christina schaut auf ihre Beine, stutzt, und antwortet: „Normal!“ Es ist normal verschieden zu sein. Das betrifft alle Kinder, ob sie nun offiziell als besonders förderbedürftig anerkannt sind oder nicht. Wo die Heterogenität tatsächlich als Chance wahrgenommen wird, können Kinder ihre Unterschiede als selbstverständlich akzeptieren und in der Folge kreativ nutzen. Und so fegt Christina samt Freundin und Rollator mal laufend und mal selber die Freundin schiebend, aber immer fröhlich kichernd ganze sieben Runden um den Sportplatz und trägt so im Rahmen eines Sponsorenlaufs ihren Teil zur Finanzierung eines neuen Klettergerüsts bei. Wie muss eine Schule aussehen, wo sich alle Kinder als „normal“ empfinden, weil man dort sieht, dass alle verschieden sind? Wie kann ein Unterricht aussehen, der wirklich für alle Kinder die Chance bietet, ihre Möglichkeiten zu entfalten, ihre individuellen Lernwege zu finden? Auch für die körperbehinderten Kinder, die lernbehinderten, geistig behinderten, autistischen … und wie die Festschreibungen alle heißen mögen, auch wenn sie heute unter dem Begriff „Förderbedarf“ daherkommen und damit zumindest sprachlich suggerieren, es sei nur genügend Förderung nötig, um die Kinder an eine unausgesprochene Norm anzupassen.
Wie unterscheidet sich „Gemeinsamer Unterricht“ von gutem Grundschulunterricht?
Nicht so sehr wie es zunächst scheinen mag. Wer in seiner Klasse individuell arbeitet, für den ist der Schritt zum Gemeinsamen Unterricht nicht mehr so groß. Die Bandbreite der Heterogenität erweitert sich und schärft den Blick für ganz unterschiedliche Lernwege und Bedürfnisse aller Kinder. Über weite Strecken sind dafür zwei Lehrerinnen da. Kinder mit Behinderung brauchen nicht grundsätzlich anderes als Kinder ohne Behinderung. Sie brauchen es vielleicht in einem anderen Tempo, vielleicht in einer anderen Größe, manchmal öfter und gelegentlich mit mehr Unterstützung. Wie durch eine Lupe werden wichtige Lernschritte, Stolpersteine, pfiffige Ideen, notwendige Pausen, Umwege und Fortschritte sichtbar. Wir entdecken bei den Kindern mit Behinderung, was doch eine gute Schule für alle Kinder wäre: jeder darf in seinem Tempo lernen, seine nächsten Ziele verfolgen und dabei auf Unterstützung und Materialien zurückgreifen. Es gibt im Klassenraum genügend Platz und auch zusätzliche Räume, um sich zurückzuziehen oder auch ganz aktiv zu werkeln. Die Verschiedenheit der Kinder fordert sie gegenseitig heraus, sowohl fachlich als auch menschlich. Äußere Differenzierung nach vermeintlich homogenem Leistungsvermögen macht ebenso wenig Sinn wie die Festlegung, welche Lehrerin aufgrund ihrer Profession für welches Kind zuständig ist: In unserer jahrgangsübergreifenden Schuleingangsklasse ist jede von uns für jedes Kind verantwortlich. Auf der Basis dieser grundlegenden Erkenntnisse und Übereinstimmungen haben sich in unserem konkreten Unterrichtsalltag Entscheidungen und Organisationsformen entwickelt, die zu uns und den Kindern passen und die sich darum auch immer weiter oder auch neu entwickeln. Einige wenige „Lupenstellen“ möchten wir im Folgenden beschreiben.
Gleiche Herausforderung - unterschiedliches Ziel
Für uns ist es eine Überforderung jedem Kind für jeden Lernbereich ein passendes Päckchen zu packen und damit die Erwartung zu verbinden, das nun jedes Kind mit dem richtigen Lernmaterial versorgt ist. Die Differenzierung von Zielen und genutzten Materialien muss vom Kind ausgehen. Wir suchen – oft gemeinsam mit den Kindern – nach Aufgaben, die eine solche Differenzierung zulassen, ja geradezu herausfordern. Konkret bedeutet das, dass zwar Inhalte oder Vorhaben festgelegt werden, die Wege aber so verschieden sind wie die Kinder selbst. Alle Kinder führen z. B. ein Lesetagebuch, in dem sie zu gelesenen oder gehörten Büchern malen oder schreiben (lassen). Sie beobachten und dokumentieren die Entwicklung der Schulkastanie im Forscherheft. Wählen selbst ein Thema zum selbstständigen Erarbeiten und Präsentieren. Neben dem individuellen Fortschreiten in den mathematischen Lehrgängen wird die Knobelaufgabe der Woche gemeinsam diskutiert oder der Umgang mit Geld für den Kinderflohmarkt geübt. Im Sportunterricht erfinden alle eine eigene Übung mit dem Seil und stellen sie den anderen vor. Für die Würdigung der Leistung zählt, dass jedes Kind auf seinem Niveau sein Bestes gibt. Annas ausführlicher Kastanientext mit ausdifferenzierter Zeichnung der Blüte steht neben Lars’ rudimentärer Darstellung eines Baumes mit einem von ihm diktierten Text. Beides wird in der Präsentation von Kindern und Lehrerinnen wertgeschätzt. Weil die Leistungen von vorneherein nicht vergleichbar sind, werden sie auch nicht miteinander verglichen. Das jeweilige Kind mit seiner individuellen Arbeit steht im Vordergrund – wie in jedem guten Grundschulunterricht.
Teambesprechung und pädagogisches Tagebuch
Jede von uns ist für jedes Kind zuständig. Um diesen zweifachen Blick auf die Kinder fruchtbar werden zu lassen, ist ein intensiver Austausch notwendig. Teambesprechungen sind ein Kernstück unserer Arbeit. Neben der Vor- und Nachbereitung von Unterricht stehen vor allem einzelne Kinder im Mittelpunkt dieser Gespräche. Wir tragen unsere Beobachtungen zusammen und sind uns gegenseitig ein wichtiges Korrektiv. Damit Wichtiges nicht verloren geht, liegt auf unserem Lehrerinnenarbeitstisch ein dickes Buch, in dem für jedes Kind ein Kapitel freigehalten ist. In dieses Buch tragen wir Merk-Würdiges und auch scheinbar Alltägliches ein. Integrationshelfer, Praktikanten und Kollegen ergänzen unsere Beobachtungen. Ganz bewusst haben wir uns gegen normorientierte Beobachtungsbögen zum Ankreuzen entschieden, weil sie der Vielfalt der Kinder nicht gerecht werden. Ein Foto des Kindes und ein zu ihm passendes Gedicht geben der lebendigen Beziehung zu jedem Kind Ausdruck. Unser gemeinsames Leben in der Schule lebt von solchen Beziehungen – wie jeder gute Grundschulunterricht.
Förderpläne - Vereinbarungen für alle Kinder
Die Lernfortschritte eines jeden Kindes in einem Förderplan zu dokumentieren und mögliche nächste Schritte zu beschreiben ist inzwischen Aufgabe in allen Grundschulen. Uns ist es wichtig, bei dieser Beschreibung von den Stärken des Kindes auszugehen und sowohl das Kind als auch die Eltern bei der Erarbeitung dieses Plans einzubeziehen. Zur Zeit erproben wir Ideen, wie das Kind schon die Vorbereitung des Gesprächs gestützt auf sein Lerntagebuch oder besonders gelungene Arbeitsergebnisse aktiv mitgestalten kann. Da der Plan nicht im Vorhinein festgeschrieben wird, kann sich der Fokus im Verlauf des Gesprächs durchaus verändern. Wir nehmen das Kind selbst und seine Eltern als Experten für das Lernen des Kindes ernst. So werden schließlich ein möglichst konkret formuliertes Ziel festgehalten und gemeinsame Vereinbarungen mit dem Kind, den Eltern und den Lehrerinnen dazu getroffen. Die Beschränkung auf ein konkretes Ziel hat sich in unserer Praxis bewährt, weil diese Konzentration die Kräfte bündelt und für alle Beteiligten überschaubar ist. Für das eine Kind kann das bedeuten, sich bereits zu Beginn des zweiten Schulbesuchsjahrs mit den Zahlen bis Tausend zu beschäftigen, während das andere Kind lernt, seine Hausschuhe zuverlässig wegzuräumen. Häufig ergeben sich Synergieeffekte: Fortschritte und Erfolge in einem Bereich wirken sich förderlich auf ganz andere Lernbereiche und die Gesamtentwicklung des Kindes aus. Die Vereinbarungen orientieren sich ausdrücklich nicht an den Defiziten der Kinder, sondern nehmen ihre Entwicklungsmöglichkeiten in den Blick – wie in jedem guten Grundschulunterricht.
Überraschungen – Kinder sind anders
Lars’ sonderpädagogischer Förderbedarf in der geistigen und auch in der körperlich-motorischen Entwicklung ist laut Gutachten so umfangreich, dass er nur „auf Probe“ in unsere Klasse kam. Wir wollten auch für ihn kein besonderes Programm aufstellen, sondern ihn wo immer und so weit wie möglich mittun lassen, was auch die anderen Kinder tun. Und wo wir zunächst noch dachten, für ihn sei das Nachschreiben von Buchstaben und Wörtern in erster Linie eine Übung für die Feinmotorik, überrascht er uns am Ende des Schuljahres damit, dass er zahlreiche Anlaute verschiedener Wörter erkennt und sogar erste Wortskelette selbstständig aufschreibt. An den regelmäßigen Waldtagen ist er der vielbefragte Fachmann Geduldig erklärt er den anderen den Unterschied zwischen Birken- und Buchenblättern und hilft so bei der Erstellung von Forschertexten. Kinder sind immer für Überraschungen gut – wie in jedem guten Grundschulunterricht.
Gemeinsamer Unterricht – ein Konzept für alle?
Vieles von dem, was bei uns im Laufe der Zeit aus der Arbeit mit den Kindern erwachsen ist, gefällt uns schon richtig gut. Es gibt uns Sicherheit in der Offenheit, weil es zu unserer Arbeit passt. Anderes ist weiterhin unfertig oder muss noch weiter bedacht werden. Ein fertiges Konzept, das auch auf andere Lerngruppen übertragbar wäre, haben wir nicht. Jedes Lehrerinnenteam und erst recht jede Lerngruppe ist anders und fordert andere Entscheidungen heraus. Die konkrete Gestaltung des Gemeinsamen Unterrichts ist ein immer wieder neu zu entdeckender Weg – wie jeder gute Grundschulunterricht.

Gemeinsame Erziehung und Kindergarten - eine gewinnbringende Herausforderung oder eine Überforderung?
In meiner 30 jährigen Erziehertätigkeit betreue ich nun schon seit 15 Jahren Kinder in der Gemeinsamen Erziehung. Bisher waren dies vorwiegend Kinder im Alter von 3-6 Jahren mit Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Bedingt durch diese Alltagssituation entschied ich mich bereits vor 11 Jahren bis heute kontinuierlich meine Qualifikationen durch spezielle Weiterbildungen zu erweitern, wie naturheilkundliche Psychotherapie, verschiedene Kursleiterausbildungen im Entspannungs,- und Wahrnehmungsbereich, in der Gesundheitserziehung und Bewegungserziehung, Lern – und Konzentrationsförderung, sowie Ernährungsberatung und andere. Neben der Kindergartentätigkeit am Vormittag arbeite ich nachmittags und abends in eigener Praxis mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Im Februar 2010 machte ich dann zum ersten Mal in einer Tageseinrichtung die Bekanntschaft mit einem Kind mit Down-Syndrom, dessen Eltern sich überlegt hatten, ihren Sohn F. in einem Regelkindergarten unterzubringen. Sie baten um ein erstes Kennenlerngespräch, um – das waren meine Gedanken – Antworten auf viele noch im Raum stehende Unklarheiten zu erhalten, wie:
» die Eltern möchten sich erst einmal einen Einblick in unseren Kindergartenalltag verschaffen, bevor sie sich letztendlich entscheiden.
» sie möchten zunächst einmal anfragen, ob die Aufnahme in einen Regelkindergarten möglich ist und das Personal sich mit diesem Gedanken überhaupt anfreunden kann.
» sie möchten prüfen, ob sie sich vorstellen können ihr Kind uns anzuvertrauen, denn Vertrauen ist die Grundlage einer solchen Zusammenarbeit.
» sie möchten herausfinden, ob dieser Schritt eine Überforderung sein würde oder ihre Anfrage eher als Herausforderung gesehen wird?
» usw
Das Gespräch zeichnete sich durch einen vertrauensvollen, ehrlichen Umgang miteinander aus. Während des Gesprächs erhielt ich interessante Informationen über F., seine Stärken, Vorlieben, aber auch über seine Unterstützungsfelder uvm. Ich selbst wusste meine im Vorfeld vorbereiteten Fragen – denn Fragen gehen einem nun mal durch den Kopf – gehört, ernst genommen und beantwortet. Bewundernswert zeigten sich die Eltern, die mit Offenheit, viel Optimismus und vor allem sehr liebevoll das gemeinsame Leben mit ihrem Kind annehmen, leben, erleben und beschrieben. Sie teilten mir auch mit, dass F. bereits Logopädie erhielt und eine spezielle physiotherapeutische Unterstützung schon abgeschlossen war. F. selber machte auf mich einen sehr zufriedenen, glücklichen, kontaktfreudigen Eindruck. Er faszinierte mich. Man musste ihn einfach gern haben. Es stand für mich fest: Ja, dieses Kind möchte ich gerne in meine Gruppe aufnehmen. Sofort war mir klar - ich wollte im Vorfeld weitere Grundkenntnisse über diese Behinderung erwerben und meldete mich sofort für eine Fortbildung für pädagogische Kräfte und betroffene Eltern an. Ich sehe mich als Wegbegleiter der Kinder in ihrer Kindergartenzeit und dabei ist es erforderlich Alter und Entwicklungsstand jedes Kindes zu berücksichtigen, um individuell und entwicklungsfördernd unterstützen zu können. Und ich muss gestehen, ich hatte dennoch keine Angst, keine Bedenken, F. aufzunehmen. Das heißt aber nicht, dass ich meine Arbeit nicht ernst nehme, mich dieser Aufgabe nicht mit dem nötigen Respekt oder der damit verbundenen Verantwortung stellen wollte und auch weiterhin stellen will. Gott sei Dank teilte meine Kollegin, die Ergänzungskraft in der Gruppe, diese Entscheidung und wollte mich gerne unterstützen. Diese positive Haltung würde F. ´s Entwicklung förderlich sein. Und ich war mir ganz sicher, dass meine, bereits zur Gruppe gehörigen Kinder, F. sofort in ihr Herz schließen würden. Dabei würde natürlich meine eigene Einstellung und Vorbildfunktion eine erhebliche Rolle spielen.
Derzeit wurden bereits drei Kinder in der Gruppe integrativ betreut und meine anderen Kindergartenkinder stehen diesen Kindern immer auf eine liebevolle Art und Weise zur Seite, wenn die Situation dies erfordert. Gemäß dem Leitsatz von Maria Montessori „ Hilf mir, es selbst zu tun!“ verstehen wir uns als Ansprechpartner für die Kinder, um ihnen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Das bedeutet, dass wir für die Kinder nicht „tun“ und nicht übernehmen, sondern vielmehr zeigen, wie der nächste Schritt aussehen kann. Selbstständigkeit durch Selbsttätigkeit ist ein großes Bedürfnis der Kinder, das wir auf jeden Fall unterstützen. Was ich natürlich auf keinen Fall aus dem Auge verlieren durfte, war und ist die Gruppe als Ganzes. Außer F. gehören schließlich noch 19 weitere Kinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren dieser Gruppe an. Auch sie haben eigene Interessen und Bedürfnisse. Und diesen hieß es auch gerecht zu werden. F. sollte auf keinen Fall eine Sonderstellung beziehen, sondern einfach nur DAZUGEHÖREN. Hierbei kamen mir die Mitteilungen der Eltern bezüglich ihrer Wünsche für F. und seiner Stärken, Fähigkeiten,… sehr zugute: Erziehung zur Selbstständigkeit, erleben von Regeln und Strukturen, erfahren einer liebevoll – konsequenten Atmosphäre, …. Ziele, die sowieso schon einen großen Stellenwert in unserem Kindergartenalltag haben. Nächster Schritt - eine „Patin“ wurde gesucht und gefunden, ein 4-jähiges Mädchen, das F. anfangs besonders zur Seite stehen wollte. Außerdem wurde die Gruppe bei einer Kinderkonferenz intensiv auf F. vorbereitet und bei den Veränderungen der Gruppengestaltung einbezogen. Wertschätzung und Achtung sind im täglichen Leben der Kinder konzeptionell verankert. Gemeinschaft und soziales Lernen wird damit ermöglicht und gefördert.
Weitere Rahmenbedingungen mussten natürlich auch noch gegeben sein, wie: ein Wickeltisch, Spiel – und Lernmaterial für Kinder unter 3, da F. laut seiner Eltern in seiner bisherigen Entwicklung verzögert ist. Das großzügige Raumangebot der Einrichtung kam F. sehr entgegen: Gruppenraum, Gruppennebenraum mit Kuschelecke, Flur mit Bewegungs – und Spielmaterial und Fahrzeugen, Turnhalle für psychomotorische Angebote, Tänze, Laufspiele, …, Spielplatzgelände, Heilpädagogischer Raum, Waschraum mit Dusche,…. Somit kann F. jederzeit seine Bedürfnisse z.B. sich bewegen, sich zurückziehen,… wahrnehmen. Die Räume des Kindergartens sind deswegen klar strukturiert; jedes Spiel – und Arbeitsmaterial hat seinen festen Platz und wir achten auf eine harmonische und ästhetische Raumgestaltung. Ganzheitliches Erleben und Lernen in allen Bildungsbereichen ist fest in unseren Alltag integriert. Wir sehen uns als Gestalter der vorbereiteten Umgebung; wir bereiten den Boden, auf dem sich Erfahrungen vertiefen und Wissen gedeihen kann. Was ich natürlich auch nicht unter den Teppich kehren durfte, war die Mitteilung der Eltern, dass F. noch gewickelt und gefüttert und vor allem immer wieder zum Trinken animiert werden muss. Das hieß für uns, ein Mehraufwand im pflegerischen Bereich musste gewährleistet sein. Es war also wichtig, eine pädagogische Zusatzkraft zur Unterstützung des Gruppenalltages anzufordern, d.h. es musste ein Antrag für die Gemeinsame Erziehung gestellt werden. Ärztliche Stellungnahmen waren dabei von erheblicher Wichtigkeit. F. ´s Eltern zeigten sich sehr kooperativ und dieser Antrag wurde gestellt und vom Landschaftsverband befürwortet. Ebenfalls wurde einem Antrag auf Frühförderung zugestimmt und diese spezielle Förderung ist seit Mai 2010 eine zusätzliche Möglichkeit für F. seine Potentiale weiter auszubauen. Eine zusätzliche Möglichkeit, die wir den Eltern vorgeschlagen haben und die von ihnen genutzt wurde. All diese aufgeführten Überlegungen waren für mich ganz entscheidende Voraussetzungen, um diese „Aufgabe“ anzugehen. Weiterhin war und ist mir wichtig, dass auch die Eltern sich in unserer Einrichtung, vor allem in F.´s Gruppe angenommen, verstanden und aufgenommen fühlen. Die Zusammenarbeit zum Wohl ihres Kindes hat Priorität. Auch für F. ist es äußerst wichtig zu erfahren und zu erleben, dass seine Eltern und seine Erzieherinnen ein harmonisches Miteinander pflegen. So kann er für sich entscheiden: hier darf ich mich wohl fühlen, denn Mama und Papa gefällt es hier ja auch! Was sprach jetzt noch gegen die Aufnahme und Integration eines Down – Syndrom - Kindes in unserem Regelkindergarten / in unser Familienzentrum? Gar nichts mehr – das musste doch mit der vorhandenen Motivation und Freude geleistet werden können – das glaubten wir jedenfalls, denn motiviert waren alle Beteiligten. Wir wollten uns dieser Aufgabe und Herausforderung gerne stellen. Zu unserer Freude entschieden sich die Eltern ihren Sohn F. bei uns anzumelden, ein für mich toller Vertrauensbeweis.
Ja und dann war er da: der Tag der Aufnahme. Hatten wir wirklich an alles gedacht und alles bedacht? Wie würden F. und die „alten Hasen“ der Gruppe wirklich reagieren? Waren meine Erwartungen zu hoch? Würden wir im Alltag all das leisten können, was wir uns vorgenommen hatten? Die Realität würde es schon zeigen. Also packten wir es an !!! F. begrüßte uns mit Handschlag und „flüchtete“ dann zunächst in die Puppenecke, die ihm durch abgrenzende Raumteiler ein angenehmes „Nest“ bot, in dem er sich sicher fühlen und nicht gleich dem großen Raum mit den für ihn viel zu vielen Kindern ausgeliefert war. Lieber erst einmal durch das Fenster schauen, wenn ihm danach zu Mute war und die Kinder zu beobachten aus sicherer Distanz. F. überwand die Trennung von den Eltern dadurch sehr schnell. Er erkundete die neue Umgebung ausgehend aus dieser sicheren Umgebung und machte sich Regeln, die veränderte soziale Situation, den Tagesablauf und die neuen Räume vertraut. F. hatte eine schwierige Aufgabe zu meistern: er musste sich eingliedern in eine bestehende Gruppe, seine eigene Position finden, das Spiel als elementare Form des Lernens erleben und sich die Welt „erarbeiten“. Beim täglichen Morgenkreis hielt F. sich zunächst zurück und nahm das Geschehen aus einer für ihn angemessenen Entfernung wahr. Mit der Zeit traute er sich immer näher an die Angebote heran mit der Sicherheit des „Schoßerlebnisses“ bei einer Erzieherin mit zugewandtem Rücken zum Innenkreis, später mit Blickkontakt zum Innenkreis und schließlich nach 5 Monaten sitzt F. nun im Stuhlkreis und erfreut sich an dem, was ihm dort geboten wird. Ein toller Fortschritt. Diese individuelle Zeit haben wir ihm gerne zugestanden. Da F. in seiner Sprache und Kommunikationsfähigkeit noch nicht alters entsprechend entwickelt ist, haben seine Eltern einen sogenannten Infoblock angeschafft, auf dem von beiden Seiten wichtige Mitteilungen festgehalten werden können. Eine besonders schöne Geste seitens seiner Eltern ist das Mitteilen seiner Aktivitäten und Erlebnisse vom Vortag, so dass F. über uns ebenfalls seinen Beitrag zum Morgengespräch leisten kann und die Kinder erfahren, was F. in und mit seiner Familie erlebt und erfährt. Diese Tatsache fand bei den Kindern der Gruppe großen Anklang. Mittlerweile hat F. viele Spielpartner gefunden und vor allem eine feste Freundin, in deren Nähe er sich besonders wohl fühlt, was er deutlich durch Mimik und Gestik ( Blickkontakt, Handzeichen ) zum Ausdruck bringt. F. liebt alle Angebote im musischen Bereich wie Lieder, Klatschspiele, Tänze. Er erfreut sich ebenfalls an Fingerspielen, Bilderbüchern und Spielmaterial auf dem Bauteppich.
In den wöchentlichen Gruppenteambesprechungen werden Beobachtungen regelmäßig reflektiert und Lernstrategien bzw. Förderprogramme überlegt und erstellt. Die Beobachtungen werden zusätzlich, wie bei allen anderen Kindern auch, mit Fotos in einer Bildungsmappe dokumentiert. Diese ist für alle Kinder und Eltern jederzeit, insbesondere aber bei Elterngesprächen und Elternstammtischen einsehbar. Außerdem finden tägliche Tür –und Angelgespräche mit den Eltern statt sowie regelmäßige, ausführliche Entwicklungsgespräche z.T. auch mit der F. zugeteilten Heilpädagogin der Frühförderstelle. Bei ihnen werden explizit Förderangebote, Vereinbarungen, Entwicklungs – und Lebensbegleitung, die an den Stärken von F. ansetzen, abgestimmt. Die Zusammenarbeit mit interdisziplinären Institutionen nimmt einen wichtigen Stellenwert ein. Heute, nach 5 gemeinsamen Monaten mit F. kann ich nur sagen: Gut, dass wir es gewagt haben. Der „ Mehraufwand“ hat sich gelohnt. F. ist eine Bereicherung für die ganze Gruppe. Durch seine fröhliche, freundliche Art bringt er viel Sonne in unseren Kindergartenalltag. Alle ( Erz. wie Kinder ) freuen sich über kleine Fortschritte und Veränderungen, z.B. F. kann jetzt alleine aus einem Becher trinken, verlässt die Nestgruppe und sucht andere Räumlichkeiten ohne Begleitung auf, ... Schön ist mit anzusehen, wie er selbst seine Leistungen wahrnimmt und sehr stolz reagiert. Alle sind offen für seine Vorlieben und Interessen, akzeptieren aber auch ablehnende Gesten. Alle nehmen ihn an wie er ist - er darf sein wie er ist. Alle geben ihm die für ihn notwendige Aufmerksamkeit, Fürsorge und vor allem Liebe. Und was ich auf keinen Fall vergessen möchte zu erwähnen: wir alle bekommen dies auf eine liebevolle Art und Weise täglich von F. zurück durch ein herzliches Lächeln, ein Streicheln oder eine zum Abschied winkende Hand.
Paul-Gerhardt-Grundschule, Attendorn
Grundschule Gräfin-Sayn-Schule Drolshagen, Drolshagen
Katholische Grundschule Gerlingen
Katholische Grundschule St. Christopherus, Kirchhundem
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